Unser Verstand möchte uns vor Gefahren schützen. Dazu gehört auch unser Umgang mit Angst. Das ist ein natürlicher Vorgang und von unserer Biologie so angelegt. Wenn wir als Kinder lernen, dass wir uns die Hand verbrennen, wenn wir auf die heiße Herdplatte fassen, werden wir dies zukünftig nicht mehr tun. Ein Reflex sorgt dafür, dass wir die Hand schnell zurückziehen, damit das Ausmaß der Verletzung so gering wie möglich bleibt. Wir lernen hier durch Schmerz, wie wir mit einer Situation besser umgehen können. Es wird ein anderer Umgang mit dem Herd erlernt. Aber daraus ergibt sich nicht, dass wir zukünftig den Herd meiden. Genauso lernt unsere Psyche. Häufig passiert dabei aber etwas anderes. Wenn wir schlechte Erfahrungen machen, dann versuchen wir diese Situationen ganz zu meiden. Dann verhindert dieser Schutzmechanismus, dass wir uns weiterentwickeln. Denn wenn wir diese Situationen immer wieder vermeiden, nehmen wir uns die Chance zum Lernen. Was einst sinnvoll angelegt war, behindert uns.
Aus Angst können wir lernen
Bei dem Beispiel vom Herd zeigt sich ein vernünftiger Umgang mit der Angst. Wir haben festgestellt, dass der Herd uns gefährlich werden kann, wenn wir auf die eingeschaltete Herdplatte fassen. Wir sind uns aber im Klaren darüber, dass der Herd keine Gefahr darstellt, wenn die Platte ausgeschaltet ist. Stattdessen kann er uns sehr gute Dienste erweisen. Wir kämen niemals auf die Idee, den Herd aus unserem Leben zu verbannen, weil wir uns einmal die Hand daran verbrannt haben. Der Schmerz, den das Verbrennen ausgelöst hat, vergeht mit der Zeit und wir sind dankbar, dass er uns bei der Zubereitung von Essen unterstützt. Uns ist klar: Wir haben die Möglichkeit, mit der potentiellen Gefahrenquelle in Einklang zu leben, wenn wir unsere Vorgehensweise ändern. Die Erfahrung war nicht angenehm, aber wir konnten sie gut verkraften. Es hat vielleicht noch eine Weile weh getan, aber wir geben nicht dem Herd die Schuld.
Müssen wir Gefahrenquellen um jeden Preis meiden?
Auf psychischer Ebene sind wir oft nicht so weise. Auf dieser Ebene könnte es passieren, dass wir dem Herd die Schuld für unsere Verletzung geben. Wir sehen dann nicht mehr, dass er uns gute Dienst erweist, wenn wir Essen kochen wollen. Wir sind nur damit beschäftigt, dass wir uns nicht wieder die Finger an ihm verbrennen. Und dafür muss er weg. Er darf uns jetzt nicht mehr unterstützen, sondern wir sehen nur noch die Gefahr in ihm. Aber der Herd ist, was er ist. Er ist heiß, wenn die Herdplatte eingeschaltet ist und kalt, wenn sie ausgeschaltet ist. Nur wir entscheiden darüber, ob er eine Gefahr ist oder nicht. Er wird sich nicht verändern können, auch wenn wir es uns noch so sehr wünschen. Nur unsere Meinung über ihn wird darüber entscheiden, wie es für ihn und uns weitergehen wird.
Eigene Erfahrungen sind wertvoller als Belehrungen
Eventuell geben die, die den Herd als Gefahr sehen, diese Sicht sogar an andere weiter. Wir kämpfen gerne gegen etwas, anstatt zu akzeptieren, dass die Dinge sind, wie sie sind. Wir nutzen unseren Verstand, um uns in der Zukunft vor diesen Gefahren zu schützen. So entwickeln wir möglicherweise eine Lösung, wo der Herd eingeschaltet sein kann, wir uns aber trotzdem nicht verbrennen. Wir selber wissen längst, dass man besser nicht auf den Herd fasst, wenn er an ist, und werden das auch nie wieder tun. Wir sind aber der Meinung, andere müssen diese Erfahrung nicht unbedingt selber machen und wir versuchen sie davor zu schützen. Ist dieses Vorgehen sinnvoll?
Ich würde sagen nein. Denn die Erfahrung hat uns auch in anderen Situationen davor bewahrt, heiße Gegenstände anzufassen. Wie soll ich also lernen, wenn ich niemals mit heißen Gegenständen in Berührung komme?
Resilienz unterstützt unseren Umgang mit Angst
Was ist also passiert, als der Herd plötzlich zu einer Gefahr wurde? Wir haben der Situation eine zu große Bedeutung gegeben. Wir wollten nicht akzeptieren, dass es jetzt im Moment schmerzhaft ist, dass wir aber gut in der Lage sind, diese Situation auszuhalten und daraus zu lernen. Dieses Erlernen nennt man übrigens Resilienz. Sie ist die Fähigkeit, gestärkt aus einer schwierigen Situation hervorzugehen.