Dieser Tage erinnerte ich mich an Werner Fassbinders Film „Angst essen Seele auf“ von 1974. Der Film thematisiert die Ängste gegenüber dem Unbekannten (in diesem Fall einem Gastarbeiter) und ihre Folgen. Zwei Menschen können nicht in Frieden miteinander leben, weil ihre Beziehung jeden Beteiligten auf seine Weise triggert.
Viele Formen der Angst
Corona ist ebenfalls ein Thema, an dem sich die Geister scheiden, und doch geht es bei jedem Einzelnen um Angst. Der Eine hat Angst vor dem Virus. Es könnte ihn selbst treffen oder – was noch viel schlimmer ist und ich immer wieder höre – Angehörige, die sterben könnten. Viele haben keine große Angst davor, selber zu sterben. Aber die Angst, jemanden anzustecken, den man liebt, ist groß. Andere haben Angst davor, dass ihnen die Selbstbestimmung in Form von Ausgangssperren oder Zwangsimpfungen genommen wird. Dann gibt es noch die Gruppe, die Angst davor hat, dass diese aktuelle Situation von einigen Wenigen inszeniert oder gar willentlich herbeigeführt wurde, um die Macht zu übernehmen. Die Regierung wiederum hat Angst, nicht das Richtige zu tun, weil sie die Wähler nicht verlieren will.
Jeder wird in seiner Angst von denjenigen bestätigt, die ebenfalls von der gleichen Angst geplagt werden. Dadurch kommt es zu Gruppierungen, innerhalb derer sie sich gegenseitig in ihrer Angst bestätigen, denn sie sind ja nicht alleine mit ihrer Angst. Es kommt zum Trugschluss, der die Angst aufrechterhält: Wenn es noch so viele andere gibt, die dieselbe Angst haben, dann muss diese Angst Sinn machen.
Dazu kommt ein weiteres Problem. Jede dieser Gruppen ist völlig davon überzeugt, dass ihre Angst die einzig wahre Angst ist und wesentlich gerechtfertigter als die Angst der anderen. Damit befinden sie sich in einem Zustand, in dem sie sich nicht mehr mit sich selbst und ihrer eigenen Angst beschäftigen, sondern sie verlagern die Angst ins Außen. Dort bekämpfen sie die, die scheinbar eine viel unsinnigere Angst haben als sie selbst. Jetzt haben sie nicht nur Angst vor der ursprünglichen Situation, sondern auch noch vor denen, die ihre Wahrnehmung nicht teilen. Wenn wir in diesem Kampfmodus sind, erkennen wir nicht mehr, dass unser Kampf von einer Gemeinsamkeit herrührt: WIR ALLE HABEN ANGST.
Macht über die eigene Angst
Leider geben wir mit dieser Verlagerung nach außen die Verantwortung für die eigenen Gefühle und damit die Macht ab. Wir sind der Meinung, dass die anderen etwas ändern müssen, damit alles wieder in Ordnung kommt. Und so möchte jeder etwas von dem anderen, ohne die Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen. Nur dann, wenn man seine eigene Angst bearbeitet, kann man wieder selbstverantwortlich werden und sehen, dass nicht die Anderen etwas ändern müssen, sondern man selbst etwas tun kann. Ich werde das an einem alltäglichen Beispiel deutlich machen.
Ein Beispiel aus dem Alltag
Wir kennen alle die kleinen Nickligkeiten zwischen Partnern. Der Partner ärgert uns immer wieder mit der gleichen Handlung. Er bringt z. B. nie den Müll weg oder ignoriert Dinge, um die wir ihn bereits mehrfach gebeten haben. Jetzt denken wir nicht darüber nach, was das mit uns selbst zu tun hat, sondern wir gehen vielleicht zu unserem besten Freund, unserer besten Freundin und berichten über unser Dilemma. Dort erhalten wir die Bestätigung für unseren Ärger, da sie möglicherweise die gleichen Probleme haben oder uns nicht verletzen, sondern uns in unserer Sicht der Dinge unterstützen wollen. Wunderbar, wir haben eine Bestätigung dafür, dass unser Problem und unsere Meinung darüber berechtigt sind. Wir sind sicher, der Ärger über den Partner ist gerechtfertigt und nur er kann die Situation ändern, indem er die Dinge so erledigt, wie wir sie gerne hätten. Das ist gleichbedeutend damit, dass ich meine Macht abgebe. Wenn ich darauf angewiesen bin, dass jemand anderer etwas ändert, habe ich selber keine Macht, die Dinge zu regeln.
Die Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen
Wie kann ich also anders damit umgehen und meine eigene Handlungsfähigkeit wiederherstellen? Ich kann mir z. B. überlegen, welche Gefühle es in mir auslöst. Jetzt werden Sie spontan antworten: „Natürlich ärgert mich das.“ Ja, aber warum? Welches Gefühl sitzt unter dem Ärger? Wenn wir ganz tief in uns hineinhören, vernehmen wir möglicherweise eine leise Stimme in uns, die sagt, dass wir uns nicht gesehen fühlen oder dass wir es nicht wert sind. Genau diese Gefühle sind dafür verantwortlich, dass wir reagieren, wie wir reagieren. Sie machen uns Angst. Diese Gefühle sind zu schmerzhaft und wir haben uns Muster angeeignet, die uns davor schützen. Nicht der andere, der dieses Gefühl in uns ausgelöst hat, ist in der Lage, dieses Gefühl zu ändern, sondern nur wir selbst. Wenn wir diese Denkmuster erkennen, sind wir in der Lage, uns zu verändern und dann sind wir nicht mehr von anderen und deren Denkweise oder Handlungen abhängig. Oftmals stecken wir dazu aber zu tief in uns selbst und benötigen einen klaren Blick von außen. Ich unterstütze Sie gern dabei, hinter Ihre Gefühle zu schauen und die Verantwortung für die eigenen Gefühle wiederzuerlangen.